Benutzerspezifische Werkzeuge
Sie sind hier: Startseite Nachrichten Gallisches Düssel-Dorf
Navigation
 

Gallisches Düssel-Dorf

erstellt von Anna Blume zuletzt verändert: 18.08.2006 20:38

express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, Nr. 6/2006

Ein Rückblick auf sechs Monate Streik bei Gate Gourmet

 

Ungewöhnlich für bundesrepublikanische Verhältnisse war nicht nur die Quantität, sondern auch die Qualität von Arbeitskämpfen, die in den vergangenen eineinhalb Jahren stattfanden. Meist stehen sie jedoch nur kurzfristig im Rampenlicht des medialen Interesses, das erlischt, sobald »Ergebnisse« vorliegen. Dabei geht Wesentliches verloren: Denn nicht nur in ihnen, auch aus ihnen kann gelernt werden. Diesem Thema wollen wir mit unserer Arbeitstagung »Konzessionen & Kampf« (S. 16) genauer nachgehen. Eine der Auseinandersetzungen, die wir für exemplarisch hielten und halten, war die beim Airline-Caterer Gate Gourmet in Düsseldorf. Exemplarisch deshalb, weil sich eine sehr kleine Belegschaft gegen die große Herausforderung der Arbeitsintensivierung gewehrt hat, und weil ein und das gleiche Unternehmen – sofern die Belegschaften überhaupt »organisiert« sind – von zwei verschiedenen Gewerkschaften betreut wird: NGG und ver.di. Wir baten Vertreter des UnterstützerInnenkreises, für uns einen Rückblick auf den Verlauf des Konflikts, die Rolle der Gewerkschaften darin und die Frage, was sich daraus entwickelt hat, zu schreiben.

 

Der halbjährige Streik bei der Catering-Firma Gate Gourmet am Düsseldorfer Flughafen hatte für einige Aufmerksamkeit gesorgt. Sechs Monate lang weigerten sich knapp achtzig ArbeiterInnen, sich dem Tarif-Diktat dieser multinationalen Firma, die zur Zeit noch von einem der größten Private-Equity-Fonds, der Texas Pacific Group, gehalten wird, unterzuordnen. Nach dem Ende des Streiks am 7. April 2006 ist es wieder ruhig geworden um diese Firma und die Situation der Beschäftigten. Wie üblich. Während offene Streiks für kurze Zeit die Aufmerksamkeit auf die Veränderung der Arbeitsbedingungen lenken und vielen einfachen ArbeiterInnen die Möglichkeit bieten, ihre Wut und ihren Unmut über die modernen Verhältnisse in die Öffentlichkeit zu tragen, bleiben die alltäglichen Konflikte und Kämpfe eingeschlossen in »die verborgene Stätte der Produktion, an deren Schwelle zu lesen steht: »No admittance except on business«. Aber ruhig ist es bei Gate Gourmet nicht geworden.

 

Ein ganz normaler Streik ...

 

Als die Beschäftigten am 7. Oktober 2005 auf Geheiß der Gewerkschaft die Arbeit einstellen und sich um drei Uhr im Morgengrauen vor dem Firmengelände versammeln, gehen alle – Gewerkschaft wie Streikende – von einer Sache von ein paar Tagen aus. Sogar ein Unorganisierter streikt mit, ohne Streikgeld, was ihm die Anerkennung seiner Kollegen einbringt. Die paar Tage Lohnausfall meint er verkraften zu können. Es ist der Beginn der Herbstferien, der dadurch ausgeübte Druck scheint ausreichend, um die Firma zum Einlenken zu bewegen. Schließlich stimmen die ökonomischen Rahmendaten: In einem Sanierungstarifvertrag hatten die Beschäftigten bereits zwei Jahre lang auf Lohnbestandteile verzichtet, die Firma schreibt jetzt wieder schwarze Zahlen, da scheint eine moderate Lohnerhöhung von 4,5 Prozent keine übertriebene Forderung zu sein.

In den ersten Tagen bekommen sie Besuch von anderen Gewerkschaftern. Besonders beeindruckt sind sie von den KollegInnen der Eichbaum-Brauerei in Mannheim, die ab dem 27. Januar 2005 einen Monat lang gestreikt hatten, um einen Tarifvertrag durchzusetzen. 28 Tage Streik! – bei Gate Gourmet kann sich das niemand vorstellen.

Aber ziemlich schnell wird ihnen klar, dass sie den Gegner falsch eingeschätzt haben. Der zeigt sich an Verhandlungen uninteressiert und steckt seine ganze Energie in die Organisierung der Streikbrucharbeiten. Der Hauptkunde, die LTU, hilft tatkräftig mit, die Auswirkungen des Streiks auf die Flüge in Grenzen zu halten. Die Beschäftigten merken, dass etwas schief läuft und dass die sie anleitende Gewerkschaft NGG gegenüber diesem Verhalten ratlos wirkt. Spontan stellen sich kleine Gruppen der Kollegen in den ersten Tagen vor die zum Rollfeld fahrenden LKWs. Am 18. November gibt es eine etwas größere Blockade, bei der auch die Gewerkschaft vor Ort ist. Als sie danach eine ernsthafte Verwarnung von der Polizei bekommt, vermeidet sie weitere Blockaden der Tore.

Am 6. Dezember, nach zwei Monaten, scheint doch eine Lösung gefunden. Der Deutschland-Manager stimmt einem neuen Tarifvertrag zu, der zwar nicht von allen in der Belegschaft begrüßt wird, aber sicherlich die nötige Zustimmung in der Urabstimmung gefunden hätte. Der Vertrag ist kein Erfolg im Sinne einer Verbesserung, aber dass die Verschlechterungen nicht so schlimm wurden, wie ursprünglich von der Firma gefordert, lässt sich noch als Achtungserfolg darstellen. Dass in Tarifverhandlungen nur noch über das Ausmaß der Verschlechterung gestritten wird, gehört ohnehin schon zur Normalität. Einige »Kröten« wie abgesenkte Einstiegslöhne, fehlender Kündigungsschutz oder verringerte Zuschläge waren zu schlucken, dafür konnte die maßlose Arbeitszeitflexibilität eingedämmt werden.

Die Aufmerksamkeit für den Streik hielt sich bis dahin in Grenzen – auch von linker Seite. Ein kleiner Streik unter vielen anderen, ein bedeutungsloses Tarifgerangel, das mit einem unbedeutenden Kompromiss zu Ende ging. Dann kam alles ganz anders: Irgendwo in der Firmenspitze, in der Europazentrale in Zürich, in den USA oder vielleicht sogar bei der Texas Pacific Group selber, wurde entschieden, dass dieser Tarifabschluss nicht zum international angelegten Kostensenkungsprogramm passe – er wurde widerrufen.

 

... läuft aus dem Ruder

 

Auch jetzt hätte es noch beim Üblichen bleiben können. Vieles sprach dafür, den Streik abzubrechen – nicht sofort, sondern taktisch, ohne Gesichtsverlust. Denn man hatte sich gründlich verschätzt, was die Reaktion der Firma betrifft. Diese signalisierte eindeutig, hier ein Exempel statuieren zu wollen, das ihre Ausgangsposition für die Verhandlungen mit ver.di über die anderen Standorte verbesserte. Entsprechend verunsichert hielten sich ver.di und die Betriebsräte in den anderen Gate-Gourmet-Units mit praktischer Solidarität vielfach zurück. Die kleine NGG geriet mit ihrer Streikunterstützung an die Grenzen ihrer organisatorischen Kapazitäten, verfügte aber anders als bürokratische und »streikerprobte« Kolosse wie ver.di oder IG-Metall nicht über die nötige Erfahrung und Abgebrühtheit, der Belegschaft den Kampf aus den Händen zu nehmen. Es gab zwar einige halbherzige Versuche, den Streikenden eine »Unterbrechung des Kampfs« oder eine »Veränderung der Streikform« (die auf Streikabbruch hinausgelaufen wäre) nahe zu legen, aber an diesem Punkt waren die Streikenden bereits selbstbewusst und selbständig genug und drängten darauf, den Kampf weiterzuführen.

Damit gewinnt dieser Streik etwas Utopisches – ganz im Sinne der Paradoxie von Liebknecht: »Seid realistisch, fordert das Unmögliche!« Alle Welt sagt ihnen, dass ihr Kampf aussichtslos ist. In den Tarifverhandlungen verspottet sie der mittlerweile hinzugezogene Anwalt der Texas Pacific Group: Überall sonst würden doch vergleichbare Kostensenkungsmaßnahmen geschluckt, auch mit Zustimmung der Gewerkschaften. »Ihr verhaltet Euch wie dieses kleine gallische Dorf ...« Statt einzuknicken nehmen die Streikenden das Bild auf: »Ja, wir sind dieses kleine gallische Dorf, das weiterkämpft, auch wenn sich alle anderen schon den Römern ergeben haben!«

Diese zwei Momente – der monatelang ungebrochene Widerstandswille auf der einen Seite, die Übermacht der globalen Finanz- und Managementstrukturen auf der anderen – sind es, die dem Streik eine breite Aufmerksamkeit und Beachtung einbringen. Denen, die mehr mit dem Streik zu tun haben und sich um aktive Unterstützung z.B. durch Solidaritätsblockaden bemühen, wird die Besonderheit dieses Streiks schnell klar: Es geht hier nicht um ein paar Lohnprozente, sondern um einen sehr viel existentielleren Konflikt um die tägliche Arbeitsabpressung. Die Wut, die den Streik über Monate in Gang hält, speist sich aus dem enormen Arbeitsdruck und der damit verbundenen, als »entwürdigend« empfundenen Behandlung durch den Finanzkoloss Texas Pacific Group. Mit Hilfe der Scheinwissenschaftlichkeit von McKinsey einerseits, völlig willkürlichen Schikanen durch das Management andererseits versuchte die Firma in den Jahren zuvor das Letzte herauszupressen. Gefragt nach ihrem Durchhaltewillen als Dauerstreikerin sagt eine Kollegin aus der Türkei: »Die Texas Pacific hat mich dazu gemacht!« Das Bewusstsein darüber, dass der Kampf um einen Tarifvertrag nur der formelle Rahmen eines Konflikts ist, in dem es um »unser Selbst« geht, wie es ein LKW-Fahrer formuliert, trägt auch die Selbständigkeit, das Pochen der aktiven Kolleginnen und Kollegen darauf, bei allen Entscheidungen über den Streikverlauf mitzureden.

Trotzdem wird nach dem fünften Monat auch im Kreis der Aktiven das Problem deutlich, dass der Druck auf die Firma nicht mehr ausgeweitet werden kann. Es hatte zwar einige Solidaritätsblockaden gegeben, die Firma geriet schon beim Auftauchen einiger bekannter Gesichter aus der Unterstützerszene in helle Panik  – aber selbstkritisch müssen wir auch als UnterstützerInnen festhalten, dass eine massenhafte Ausweitung der praktischen Solidarität nicht gelungen ist. Der Streik hat es zwar möglich gemacht, in vielen Kreisen über die Frage zu diskutieren, wie sich heute wieder wirksame Arbeitermacht entwickeln lässt – und eigentlich sind Flughäfen mit ihrer hohen Arbeiterkonzentration und den eng ineinandergreifenden Produktionsabläufen vielversprechende Orte für die Arbeitermacht im 21. Jahrhundert. Aber Antworten konnten auf diese Frage mit dem letztlich doch isoliert bleibenden Streik bei Gate Gourmet (noch) nicht gefunden werden.

Als der gewerkschaftlich organisierte Teil der Belegschaft am 7. April über einen neuen Kostensenkungskompromiss abzustimmen hat, drückt sich die Unsicherheit im Ergebnis aus: 43 stimmen für das Ergebnis, 27 dagegen und für die Fortsetzung des Streiks. Auch der aktive Kern ist sich nicht mehr einig: Einige wollen über den Sommer weiterstreiken, weil sich erst in der Hochsaison zeigen werde, ob sie nicht doch noch mehr Macht gegen die Firma ausspielen können; andere sehen die Gefahr, dass es zu einem Abbröckeln des Streiks kommen könnte, was noch fataler wäre. Selbst die NGG ist im Grunde dankbar über die vielen Gegenstimmen, da sie unterstreichen, dass das Ergebnis »keinen Sieg« darstellt, wie sie schreibt. Die – während des Streiks ausgewechselte – Geschäftsleitung ist sich der Bedeutung auch bewusst: Als dem neuen Geschäftsführer die Zahlen als Prozentangabe übermittelt werden, rechnet er nur kurz nach und weist dann sorgenvoll daraufhin, dass also fast dreißig Kollegen mit dem Ergebnis nicht einverstanden sind.

Die neuen Tarifverträge mit dreijähriger Laufzeit sehen eine stufenweise Anhebung der Arbeitszeit auf 40 Stunden vor, Zuschläge werden gekürzt, die Hälfte des Weihnachtsgeldes wird erfolgsabhängig. Statt der von Gate Gourmet angestrebten Kürzung der Personalkosten um zehn Prozent seien es jetzt nur sieben Prozent – also auch »keine Niederlage«, folgert die Gewerkschaft. Tatsächlich sind in das Regelwerk einige Bestimmungen hineingeraten, die von der Firma bei den Verhandlungen entweder in ihrer Bedeutung übersehen wurden, oder von denen sie annahm, sie einfach ignorieren zu können. Und um sie entwickelt sich nun der Konflikt in der Firma.

 

Die Mühen der Ebene

 

Draußen vorm Tor zu stehen, sich bei Aktionen und Demonstrationen als Gemeinschaft im Kampf zu erleben – oder wieder im Betrieb, oft sehr vereinzelt an den Arbeitsplätzen oder auf dem LKW, den täglichen Einschüchterungen und Drangsalierungen der Chefs ausgesetzt, den Kampf fortzuführen – das sind zwei sehr verschiedene Dinge. Einige der aktivsten Kollegen im Streik haben die Firma verlassen, weil sie nicht daran glauben, dass sich hier noch mal grundlegend etwas verändern wird. Die Hoffnung darauf konnte der Ausgang des Streiks nicht vermitteln – und es ist niemandem moralisch ein Vorwurf daraus zu machen, aus solchen Verhältnissen zu fliehen und etwas Neues im eigenen Leben anzupacken. Unter Bedingungen, in denen offene Kämpfe als aussichtslos erscheinen, waren hohe Fluktuationsraten schon immer eine »Fortsetzung des Kampfs mit anderen Mitteln«.

 

Hartz IV und die Instrumentalisierung der Leiharbeiter

 

Auch wenn die Firma den damit verbundenen Abzug von Know-How schmerzlich zu spüren bekommt, was sich an einer Fülle von Pannen im Alltagsgeschäft ablesen lässt, will sie nun die während des Streiks eingeleitete Umstrukturierung fortsetzen: Die Produktion soll mit einem immer höheren Anteil von LeiharbeiterInnen erledigt werden. Das zielt nicht nur auf die günstigeren Lohnkosten, sondern es geht vor allem um die qualitative Seite der betrieblichen Herrschaftsverhältnisse. Da die Leiharbeiter ohne irgendwelche Kündigungsfristen nach Hause geschickt oder umgekehrt zu Mehrarbeit verdonnert werden können, dienen sie als Manövriermasse, mit denen die gesamte Belegschaft unter Druck gesetzt werden kann. Ihr Einsatz demonstriert den Festangestellten hautnah, dass sie ersetzbar sind. Bei Gate Gourmet zeigt sich jetzt, wie gravierend die Auswirkungen eines Teils des Hartz-IV-Pakets sind: Zusammen mit dem verschärften Druck auf Arbeitslose wurden Einschränkungen der Leiharbeit durch das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz fast vollständig gestrichen. Die bisher geltende maximale Überlassungsdauer von 24 Monaten wurde abgeschafft, so dass jahrelange Dauereinsätze möglich sind. Ebenso wurde die Einschränkung der Befristung von Leiharbeitsverträgen aufgehoben. Damit sollte einmal verhindert werden, dass Leiharbeiter nur für einen bestimmten Auftrag eingestellt werden (das so genannte »Synchronisationsverbot«). Jetzt können Leiharbeitsfirmen die Arbeitsverträge ganz legal an die Laufzeit ihrer Verträge mit Gate Gourmet koppeln. Sicherlich, das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz war schon lange ein stumpfes Schwert, denn der Großteil der Leiharbeit spielt sich in einer Grauzone der Halblegalität ab. Viele Leiharbeiter wissen kaum um ihre fundamentalen Arbeiterrechte oder verzichten auf deren Durchsetzung, weil sie dann den Job los wären. So erklären Leihfirmen, die zu Gate Gourmet vermitteln, ihren ArbeiterInnen lapidar, in ihrer Firma gäbe es keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall; und dass es gesetzliche Ruhezeitregelungen gibt, ist hier völlig unbekannt. Bei Stundenlöhnen von sechs bis sieben Euro wird ihnen vermittelt – auch von der Gate-Gourmet-Geschäftsleitung –, sie könnten doch leicht ihr Einkommen selber erhöhen, wenn sie einfach mehr arbeiten würden. Und an diesem Punkt lassen sich die Leiharbeiter dann auch gegen den Betriebsrat und die KollegInnen aufbringen, die jetzt versuchen die im Tarifvertrag geregelten Einschränkungen der Arbeitszeitflexibilität durchzusetzen.

 

Druck durch Vorgesetzte

 

In den ersten Tagen nach der Wiederaufnahme der Arbeit hatten sich die Vorgesetzten noch zurückgehalten, aber schon bald wird nur noch der von oben kommende Druck weitergegeben. Wer nicht gleich jedem der Streikbrecher freundlich die Hand gibt, wird beschuldigt, den Betriebsfrieden zu stören. Wer dem Drängen, doch »mal ne Stunde länger zu machen, weil noch ne Maschine kommt« nicht nachgibt, sondern pünktlich geht, der »zieht nicht mit« und gerät unter ständige Beobachtung. Diejenigen, die gegangen sind, hatten geahnt, dass es so kommen würde. Der Texas Pacific Group läuft die Zeit weg, denn nach ihrer Logik muss sie Gate Gourmet in den nächsten ein bis zwei Jahren wieder abstoßen. Um dabei den erhofften Gewinn machen zu können, muss gerade Düsseldorf als eine der größten Units ein gutes Betriebsergebnis vorweisen.

Eingeengt von den ehemaligen Streikbrechern und der zunehmenden Zahl von Leiharbeitern fällt es selbst einigen derjenigen, die sich am Streik beteiligt hatten, schwer, dem Druck der Chefs standzuhalten. So verlagert sich die Front des Widerstands stark auf den Betriebsrat, dessen Möglichkeiten aber begrenzt sind. So gut es geht, schöpft er die wenigen Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes aus, mit denen er dem Druck etwas entgegensetzen kann. Konsequent verweigert er seine Zustimmung zur Einstellung neuer Leiharbeiter und fordert die Firma zu Festeinstellungen auf. Peinlich genau kontrolliert er alle Dienstpläne und lehnt Überstunden ab, die nur auf der zu knapp kalkulierten Personaldecke beruhen. Und er blockt die Einschüchterungsversuche gegenüber KollegInnen ab, die sich das in sechs Monaten erkämpfte Selbstbewusstsein nicht einfach wieder wegnehmen lassen wollen.

 

Terror gegen den Betriebsrat

 

Damit ist der Betriebsrat selbst in die Schusslinie geraten. Bei den Wahlen Anfang März hatte die Liste der Streikenden fünf von sieben Sitzen gewonnen. Da der Wahlvorstand nicht alle Leiharbeiter, die damals als Streikbrecher arbeiteten, in die Wählerlisten eintrug, betrieb die Geschäftleitung die Wahlanfechtung vor dem Düsseldorfer Arbeitsgericht und gewann den Prozess in erster Instanz. Betriebsrat und Gewerkschaft sind entschlossen, bis zum Bundesarbeitsgericht zu gehen, da es sich um einen Präzedenzfall handelt. Die Frage, ob sich die Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes von 2001, nach der auch Leiharbeiter wahlberechtigt sind, auch auf den Streikfall beziehen soll, ist rechtlich völlig offen.

Aber um den Betriebsrat unter Druck zu setzen, lässt die Geschäftsleitung jetzt durch ihre Vertrauenspersonen in der Belegschaft eine Unterschriftenliste kursieren, in dem die Auflösung des »ungesetzlich gewählten« Betriebsrats gefordert wird. Außerdem gefährde der Betriebsrat die Firma, weil er nicht bereit sei, seine Betriebsratstätigkeit den betrieblichen Erfordernissen anzupassen. Mit dem Argument könnten Betriebsräte in tausenden Betrieben sofort ihre Arbeit einstellen – denn sicherlich ist es für den Betrieb immer besser, wenn sie einfach in der Produktion arbeiten, statt in unternehmerische Entscheidungen einzugreifen. Mit dieser Liste werden vor allem unter den LeiharbeiterInnen Stimmen gesammelt: Zum einen mit dem Argument, der Betriebsrat »diskriminiere« sie, weil er ihnen nicht erlaube, 60, 70 oder 80 Stunden in der Woche zu arbeiten, und weil er die Einstellung von Leiharbeitern verhindere, zum anderen dürfte es Vorgesetzten nicht schwer fallen, »ihren« Leiharbeitern zu verdeutlichen, dass es für ihre Weiterbeschäftigung besser sei, den Zettel, den sie in vielen Fällen ohnehin kaum lesen oder verstehen können, zu unterschreiben.

Parallel zu dieser Kampagne werden einzelne KollegInnen aus dem Betriebsrat regelrecht verfolgt. So bekam eine Betriebsrätin gleich drei Abmahnungen für angebliche Verfehlungen, wobei es im Kern nur darum ging, dass sie ihre Arbeit als Betriebsrätin machte.

Trotz dieser Einschüchterungsversuche stößt die Geschäftsleitung heute auf deutlich mehr Widerstand als vor dem Streik. Die Macht und Zusammengehörigkeit, die ein Teil der Beschäftigten durch den Streik gewonnen hat, reichen zwar nicht aus, um die Chefs von vornherein von solchen Manövern abzuhalten. Aber vieles in ihrem Verhalten wirkt nur noch wie nackte Verzweiflung, die ihr noch selber auf die Füße fallen könnte.

Insbesondere fragt sich, ob sich mit dem wachsenden Anteil der Leiharbeit diese ArbeiterInnen weiterhin einfach als Manövriermasse benutzen lassen, oder ob sich auch von dieser Seite her Widerstand entwickeln wird. Erste Anzeichen dafür hatte es unmittelbar nach Streikende gegeben. Während des Streiks war das Arbeitstempo bewusst heruntergeschraubt worden, und die Streikbrecher der Leiharbeitsfirmen wurden regelrecht hofiert: Es gab kostenlos Kaffee und Brötchen, in der Kantine wurden Delikatessen aufgefahren. Aufgrund des stressfreien Arbeitens, mit dem die Firma Fehler vermeiden und genügend Puffer für mögliche Blockaden einbauen wollte, konnten die Leiharbeiter die eigentlichen Motive des Streiks nicht nachvollziehen. Zusätzlich wurden sie damit geködert, dass ihnen Festeinstellungen nach Streikende in Aussicht gestellt wurden. Davon war aber nach dem Streik nicht mehr die Rede – stattdessen kehrten wieder die alten Verhältnisse der Antreiberei ein. Einige Leiharbeiter kündigten daraufhin, andere zeigten ihre Wut oder waren schlicht überfordert. In ihrer Panik reagierte die Firmenleitung mit Aushängen, in denen von um sich greifender »Sabotage« die Rede war, die sie streng verfolgen werde.

 

Der Streik bei Gate Gourmet und vor allem die Entwicklung nach dem Streik zeigen exemplarisch, wie sich der Arbeitskonflikt heute im Spannungsfeld zwischen Profitkrise und Prekarisierung entwickelt. In diesem Sinne ist er keineswegs einmalig, sondern zeigt nur auf, was in tausenden Betrieben unbeachtet von aller Öffentlichkeit passiert. Auch das ist das Verdienst dieser sechs Monate Streik, diese Verhältnisse einmal sichtbar gemacht zu haben.

Übrigens kämpfen auch eine ganze Reihe der im letzten August bei Gate Gourmet in London-Heathrow Entlassenen immer noch um ihre Wiedereinstellung – und dagegen, dass ihre Gewerkschaft TGWU sie in diesem Kampf nicht mehr unterstützt. Im Moment bereiten sie über hundert Gerichtsverfahren vor, in denen im September die Kündigungen überprüft werden sollen, und für den 20. August rufen sie zu einer Jahrestagsdemo der Gate-Gourmet-ArbeiterInnen in London auf.

 

ck vom ehemaligen Unterstützerkreis für den Streik bei Gate Gourmet

Kontakt: info@gg-streik.net

Im Herbst wird bei Assoziation A ein Buch zu den Streiks bei Gate Gourmet erscheinen, in dem streikende ArbeiterInnen und Unterstützerinnen in Interviews und mit Beiträgen zu Wort kommen.

 erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 6/06

Artikelaktionen
« März 2016 »
März
MoDiMiDoFrSaSo
123456
78910111213
14151617181920
21222324252627
28293031