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Blockaden, U-Boote und wichtige Erfahrungen

erstellt von Anna Blume zuletzt verändert: 31.03.2007 14:59

Buchbesprechung von Peter Birke in ak - zeitung für linke debatte und praxis / Nr. 513 / 19.1.2007

Ein neues Buch bilanziert den Arbeitskampf bei Gate Gourmet


2006 war ein Jahr, in dem die Arbeitskämpfe öffentlich wahrgenommen wurden wie seit langem nicht mehr. Kämpfe gegen Werksschließungen wie bei AEG in Nürnberg und bei BSH in Berlin-Spandau standen neben Konflikten um den Erhalt von Tarifstandards in den privatisierten Krankenhäusern oder dem Großkonflikt im öffentlichen Dienst. Eine besondere Bedeutung hatte dabei sicherlich der sechsmonatige Streik von 80 Beschäftigten des Caterers Gate Gourmet auf dem Düsseldorfer Flughafen.

Gut acht Monate nach seinem Ende ist im Dezember 2006 eine außerordentlich lesenswerte Dokumentation über den Gate-Gourmet-Streik erschienen, herausgegeben von jenen "umherschweifenden Streikposten" ("Flying Pickets"), die den Kampf intensiv unterstützt haben. Diese beschreiben zunächst den Ort, um den es geht: Auf dem drittgrößten bundesdeutschen Flughafen sind rund 15.000 Menschen beschäftigt, verteilt auf über 500 Betriebe in- und außerhalb des Airports.

Die Firma Gate Gourmet ist im Besitz des US-Kapitalfonds Texas Pacific Group (TPG). Weltweit arbeiten hier mehr als 20.000 Menschen. Gate Gourmet liegt also an einem Ort, von dem aus viele Fäden einer "anderen Globalisierung" gesponnen werden könnten: Eine Kette von Arbeitskämpfen, die von der Blockade von Start- und Landebahnen durch die Arbeiter der Air France in Paris im Jahre 1993 bis zu dem spektakulären Arbeitskampf bei Gate Gourmet auf dem Flughafen London-Heathrow von 2005 reicht, weist auf diese Fäden hin. Das "Streiktagebuch" eines Aktivisten und Interviews, die die HerausgeberInnen während und unmittelbar nach dem Streik mit Beschäftigten, GewerkschafterInnen und Betriebsräten geführt haben, machen sowohl die Bedeutung als auch die im Gate-Gourmet-Streik leider nur recht begrenzte Reichweite dieser "anderen" Art der Globalisierung klar.

Am Anfang handelte es sich in Düsseldorf um eine "normale" Lohntarifrunde, wie sie durch nationalstaatlich organisierte Arbeitsmarktparteien reguliert wird. Doch je länger der Streik andauerte, desto deutlicher wurde die exemplarische Dimension: Tatsächlich ging es nicht nur um die Lohnhöhe, sondern um die von der Firma geforderte umfassende und andauernde Verfügbarkeit, um die Durchrationalisierung des Betriebes durch die Unternehmensberatungsfirma McKinsey und um die Rolle des Finanzinvestors TPG.

Der Streik richtete sich gegen eine seit Jahren geforderte programmierte Ökonomisierung der Arbeitsgänge und gegen den Versuch, diese Ökonomisierung im Alltagsverhalten der Beschäftigten zu verankern. Wie anderswo auch hatte dies bei Gate Gourmet zur Folge, dass der Arbeitsdruck und die zeitliche Verfügbarkeit der KollegInnen enorm zugenommen hatten. Mehr als einmal betonen die Befragten, dass "eine Grenze erreicht" sei.

Doch anders als 2005 in Heathrow kam es in Düsseldorf nicht zu einer wirksamen Solidarisierung durch die Beschäftigten anderer Firmen. Und auch die Gate-Gourmet-Zweigstellen in Frankfurt und anderen Flughäfen, in denen der Druck kaum geringer ist, schickten eher StreikbrecherInnen als Solidaritätsbeweise. So war die Gate-Gourmet-Geschäftsführung in Düsseldorf schnell in der Lage, die entstandenen Lücken mit LeiharbeiterInnen zu schließen. Das restriktive bundesdeutsche Streikrecht half der Firma zusätzlich, Blockaden zu unterbinden und die Belieferung der Flugzeuge, obgleich in chaotischer Form, fortzusetzen.

Wie konnten die Streikenden unter solch widrigen Umständen von Oktober 2005 bis April 2006 aushalten? Die Interviews zeichnen die Motive und Freiräume im Kampf nach: Endlich mal in Ruhe mit den KollegInnen reden; raus aus dem Stress, der einen kaputt macht; die Forderung nach Menschenwürde; das neu erworbene Selbstvertrauen und die Einsicht in die exemplarische Bedeutung des Kampfes, oder, wie es eine Streikende ausdrückte: "Vom Finanziellen her ist Arbeiten besser, aber vom Arbeiten her: Streiken!" In diesem Zusammenhang wurden auch Erfahrungen mit der zwiespältigen Rolle der Gewerkschaft NGG gemacht. Ohne sie wäre der Streik wohl nicht zu Stande gekommen. Allerdings begann die NGG auf Grund der drohenden Schadensersatzforderungen und des engen Streikrechtes sehr schnell zu bremsen, und schließlich versuchte sie immer aktiver, den Streik zu beenden. Doch weder die HerausgeberInnen noch die Interviewten betreiben Gewerkschaftsbashing, sondern zeichnen sehr differenziert nach, welche Konflikte es um die Politik der NGG auf den verschiedenen Organisationsebenen gab. Auch hierin liegt eine Stärke des Buches.

Nach etwa zwei Monaten spielten die "umherschweifenden Streikposten" eine zentrale Rolle für die Fortsetzung des Streikes: Da die Gewerkschaft kein aktives Interesse daran zeigte, wäre die Kontaktaufnahme mit anderen streikenden Betrieben ohne die "Flying Pickets" schwieriger geworden. Auch die Blockaden in Düsseldorf hätten nach und nach aufgehört. In dem Buch wird zudem die Bedeutung betont, die die Existenz eines aktiven und klassenkämpferischen Betriebsrates hatte, und schließlich wird auch darauf eingegangen, wie wichtig das "U-Boot" war: eine informelle Gruppe von KollegInnen, die das Netzwerk bildete, das den Streik verstetigte und organisierte.

Als der Ausstand im April 2006 beendet wurde, konnte die vom Betrieb geforderte Lohnkürzung nur in begrenztem Umfang verhindert werden. Immerhin aber musste Gate Gourmet das Ausmaß der Flexibilisierung einschränken. Doch die Interviews zeigen, dass damit die Konflikte nicht beseitigt sind. 60 der ehemals 80 Streikenden sind in den Betrieb zurückgekehrt. Sie finden sich in einem Konflikt mit den ehemaligen StreikbrecherInnen wieder, die nun als LeiharbeiterInnen eine Art betrieblicher Unterschicht bilden. Während das Unternehmen versucht, diesen Konflikt für sich zu instrumentalisieren, gibt es gleichzeitig Versuche, sich mit diesen "neuen" Beschäftigten gemeinsam zu organisieren.

Neben etwas wenig zugespitzten Beiträgen zum Motivationsmix der UnterstützerInnen findet sich in dem Buch auch eine Auseinandersetzung mit der exemplarischen Bedeutung einer Unternehmenspolitik à la McKinsey. Detlef Hartmann schildert sie als eine neuartige Form der Einbindung, als einen Zwang zur Selbst-Maximierung der Produktivität, die stärker als in der Vergangenheit einen Eingriff in die Motivations- und Psychostruktur der Beschäftigten anstrebt. Hartmann schlägt deshalb eine andere Art der "Übersetzung" des Streiks vor: Eine abstrakte "Klassenanalyse" wird der Konstellation, die sich in dem "mikroskopisch" dargestellten Kampf ausdrückt, nicht gerecht. Die sozialen Kämpfe müssen nunmehr durch das Nadelöhr dieser Selbst-Inwertsetzung hindurch, überall, nicht nur im Betrieb.

In einer Zeit, in der brauchbare Analysen sozialer Kämpfe fehlen, ist ein Buch wie das Gate-Gourmet-Buch wichtig. Auch wenn die HerausgeberInnen sich am Ende zu zwei, drei dunklen Sätzen über böse IndustriesoziologInnen und ihnen ebenso unsympathische PoststrukturalistInnen hinreißen lassen, und auch wenn einige Kürzungen sicher nicht geschadet hätten: Es ist zu hoffen, dass Erfahrungen, die das Buch vermittelt, aufgegriffen werden.

Peter Birke


Flying Pickets (Hrsg.): Auf den Geschmack gekommen. Sechs Monate Streik bei Gate Gourmet. Assoziation A, Hamburg/Berlin 2007. 265 Seiten, 12 EUR
 

ak - zeitung für linke debatte und praxis / Nr. 513 / 19.1.2007

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