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Nach dem Streik ist vor dem Streik

erstellt von Anna Blume zuletzt verändert: 10.04.2006 09:15

Am 7. April 2006 stimmen 61,4 Prozent für einen Tarifkompromiss, der Streik wird beendet

Nach dem Streik ist vor dem Streik

Ihr wart großartig!


Genau nach einem halben Jahr endete heute, am 7. April 2006, der Streik bei Gate Gourmet in Düsseldorf. In den Tarifverhandlungen am 3.4. hatten sich Tarifkommission und Firmenleitung auf neue Mantel- und Entgelttarifverträge mit dreijähriger Laufzeit geeinigt, die gestern auf einer Streikversammlung diskutiert wurden. In der Urabstimmung heute Mittag stimmten 61,4 Prozent für den Kompromiss, 38,6 Prozent dagegen.

"Ich bin mit dem Ergebnis nicht einverstanden. Dafür haben wir nicht ein halbes Jahr hier draußen gestanden. Ich habe mit Nein gestimmt, das können alle wissen." "Wenn sie es auch in der beginnenden Urlaubssaison geschafft hätten, den Betrieb mit Streikbrechern aufrechtzuerhalten, dann hätten sie uns noch mehr weggenommen. Mehr war einfach nicht drin, und viele hätten den Streik nicht länger durchgehalten." "Ich werde da nicht mehr reingehen ... Ich will mich dadrin nicht versklaven lassen." "Wir gehen da jetzt anders rein, als wir rausgegangen sind. Das halbe Jahr Streik hat uns stärker gemacht, wir werden uns da nicht mehr alles gefallen lassen." Diese wenigen Zitate aus einigen Gesprächen am Streikzelt nach der Urabstimmung zeigen, wie gemischt die Stimmung ist.

Auch die Gewerkschaft NGG versucht nicht, das Ergebnis als einen Erfolg zu verkaufen. Dazu ist die Diskrepanz zwischen Streikziel (4,5 Prozent mehr Lohn) und Ergebnis (etwa 7 Prozent Einsparung bei den Personalkosten) zu deutlich. "Kein Sieg - keine Niederlage" schreibt sie, und: "Klar ist: Ohne Streikbrecher wäre ein anderes Ergebnis möglich gewesen. Aber: Das Tarifdiktat wurde durchbrochen." Statt der von Gate Gourmet und der Texas Pacific Group geforderten zehnprozentigen Kürzung jetzt nur sieben Prozent - der Unmut einiger KollegInnen und die "Bauchschmerzen" der Tarifkommission selber sind verständlich. Denn eigentlich war niemand in den Streik getreten, um dann nur um die Höhe der Verschlechterungen zu streiten. Neben den reinen Zahlen (die wir im Detail noch nicht kennen) ist es vielleicht wichtiger, dass die extreme Flexibilisierung wieder eingeschränkt und z.B. der Anspruch auf freie Wochenenden festgeschrieben werden konnte.

Das eigentliche Problem liegt in der gewerkschaftlichen Ratlosigkeit gegenüber dem massiven Streikbruch und dem Verhalten der modernen Kapitalisten in Gestalt einer Texas Pacific Group. Die NGG hatte sich gründlich verkalkuliert, als sie im Oktober letzten Jahres meinte, mit ein paar Tagen Streik den Multi Gate Gourmet zum Einlenken zu bringen. Der großen ver.di war das von Anfang an klar, und obwohl sie die meisten Gate-Gourmet-Betriebe in Deutschland vertritt und sich selber seit drei Jahren in einem tariflosen Zustand befindet, hielt sie sich mit praktischer Solidarität zurück. Da man befürchte, dass Verhandlungen nur zu einer Verschlechterung führen könnten, vermeide man lieber neue Tarifverhandlungen und wolle erst einmal abwarten, was da in Düsseldorf herauskomme - so offen zynisch argumentierte der für Gate Gourmet zuständige ver.di-Vertreter am Frankfurter Flughafen. Geholfen hat ihnen diese Zurückhaltung nicht. Denn nun wird Gate Gourmet darauf verweisen, dass sie trotz des halbjährigen Streik noch deutliche Einsparungen durchsetzen konnten, und von ver.di die sofortige Kapitulation verlangen.

Streikperspektiven


Der halbjährige Streik am Düsseldorfer Flughafen hat aber auch gezeigt, dass kollektive Antworten auf die neue Diktatur des Kapitals möglich sind. In diesem langen Streik entwickelte sich eine neue Solidarität unter den KollegInnen und er war von einem hohen Maß an eigener Aktivität der Streikenden getragen. Immer wieder bestimmten sie selber, wie es weitergehen solle und taten sehr viel dafür, ihren Streik auf Veranstaltungen, durch Teilnahme an Demonstrationen, den Besuch anderer Streikender und den Kontakt zu Unterstützerkreisen bekannt und wirksamer zu machen. Einige hatten die Hoffnung, dass erneute Blockadeaktionen gegen die Streikbrecher zu Beginn der Osterferien noch einmal Wirkung zeigen könnten - dem ist der Tarifabschluss nun zuvor gekommen. Aber selbst heute morgen war die Firmenleitung noch so besorgt, dass sie ab halb sechs in hektischer Eile LKWs vorbeladen ließ und aufs Rollfeld brachte. Auch die angeheurte Security soll in den nächsten Tagen weiter das Firmengelände bewachen.

Als dem neuen Betriebsleiter das Ergebnis der Urabstimmung verkündet wurde, rechnete er schnell nach: wenn 61,4 Prozent zugestimmt haben, dann bedeutet das doch, dass fast 30 Leute mit dem Ergebnis NICHT einverstanden sind. (Insgesamt beteiligten sich 70 Streikende an der Abstimmung, 43 mit ja, 27 mit nein.) Er weiß, was das für ihn bedeutet, um die Leute wieder zur Arbeit zu motivieren - ganz abgesehen davon, wie schwierig es für ihn werden wird, die Risse zwischen Streikenden und Streikbrechern, die demnächst wieder zusammenarbeiten sollen, zu kitten. Der Arbeitskampf hat auch auf Kapitalseite zu personellem Verschleiß geführt: sowohl der Deutschland- und Vize-Europa-Chef von Gate Gourmet, Herr May, durfte oder mußte seinen Hut nehmen, als auch der in Düsseldorf bei den ArbeiterInnen verhaßte Geschäftsleiter Camenzind schied Ende März aus. Ähnliches war in London passiert, wo im Verlaufe des Kampfs um die Wiedereinstellungen seit dem 10. August 2005 die Hälfte der Personalabteilung dem Stress der ständigen Auseinandersetzungen nicht gewachsen war und kündigte.

Die bisher Streikenden werden erst nach Ostern, am 18.4., gemeinsam wieder zur Arbeit zu erscheinen. Als erstes wird auf Vorschlag der Geschäftsleitung eine Betriebsversammlung stattfinden. Für diejenigen, die am 18.4. die Arbeit wieder aufnehmen, wird der Kampf weitergehen. Der Kampf um die Fragen, die zu der geballten Wut auf die Firma geführt haben, die während des ganzen Streiks ständig präsent war. Fragen, die sich in keinem Tarifvertrag regeln lassen: der Kampf um die eigene Würde, der Konflikt um die alltägliche Abpressung der Arbeit und Leistungsverdichtung, um die Zerstörung des sozialen Lebens durch die Ansprüche des Unternehmens. An dieser Front werden sich die Erfahrungen der sechs Monate Streik auszahlen, denn sie haben auch die Menschen verändert. Wo früher Missgunst und Konkurrenz unter den KollegInnen es dem Unternehmer und seinen McKinsey-Beratern leicht machten, mehr Arbeit und Flexibilität zu erzwingen, da werden sie nun auf eine Gruppe von ArbeiterInnen stoßen, die gelernt haben, welche Kraft aus dem Zusammenhalt entstehen kann.

Auf diesen Kampf wird es nun ankommen. Für die KollegInnen, aber auch für andere Menschen wie uns, die den Streik bei Gate Gourmet unterstützt haben, weil sie sich darin mit ihren eigenen Hoffnungen auf kollektive Gegenwehr wiedergefunden haben. Der Klassenkampf ist nicht nur das große, spektakuläre Ereignis wie ein Streik. Er ist vor allem das alltägliche und oft viel zu verborgene Ringen um das eigene Überleben im Konflikt mit dem Kapital.

Wir wünschen den Streikenden von Gate Gourmet und uns selber viel Glück und Mut in diesem Kampf und werden die entstandenen Kontakte nicht abreißen lassen.


Fotoshooting nach der Urabstimmung



Dieter Schormann, NGG, verkündet das Urabstimmungsergebnis



Transparent der UnterstützerInnen



Die Streiktransparente werden eingerollt ...


... und gefaltet. Es gibt immer ein nächstes Mal.

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